Samstag, 17. Mai 2014

Kleiner Mann, was nun?

Auch ich habe einen Tag gebraucht, um die Doppelklatsche der rheinland-pfälzischen und bayrischen Verfasungsgerichte erstmal zu verdauen. Für viele von euch stellt sich jetzt die Frage, ob der Klageweg überhaupt noch Sinn macht, wenn alle Argumente, die es gegen den Rundfunkbeitrag gibt, sowohl von der Politik als auch von der Rechtsprechung so eindeutig ignoriert werden. Aber mal ganz ehrlich: überrascht uns das? Dass Verwaltungsklagen in der ersten Instanz negativ beschieden werden, ist nichts ungewöhnliches. Was allerdings pessimistisch stimmt, ist, dass sich die Richter in ihren Urteilsbegründungen überhaupt nicht mit den Argumenten der Gegenseite auseinandergesetzt haben, sondern ohne wenn und aber den Rundfunkanstalten gefolgt sind.

Dabei geht es offensichtlich darum, genau das Gefühl der Ohnmacht zu erzeugen, das viele Leute jetzt haben. Sie sollten dabei nicht vergessen, dass sie erstens nicht allein sind und es zweitens auch andere Wege gibt, um seinem Protest gegen den Rundfunkbeitrag Ausdruck zu verleihen. Dazu gehören die anstehenden Europa- und Kommunalwahlen. Wer den Rundfunkbeitrag für eine wortwörtliche Perversion der Meinungsfreiheit hält, sollte für den Wechsel stimmen und nicht für die Parteien, die ihn zu verantworten haben, also nicht für CDU, SPD und Grüne. Letztere haben in Gestalt von Tabea Rößler bewiesen, dass sie vollens im Sumpf der öffentlich-rechtlichen Interessenvermischung stecken. Sie kommentierte nach dem Mainzer Urteil als medienpolitische Sprecherin der Grünen in Rheinland-Pfalz, dass dies beweise, auf welch sicheren verfassungsrechtlichen Füßen der Rundfunkbeitrag stehe - teilt der interessierten Öffentlichkeit aber nicht mit, dass sie freie Mitarbeiterin des ZDF ist. Festanstellung geht bei politischem Mandat wohl nicht, aber was nicht ist, kann ja noch werden. 

Am Rundfunkbeitrag wird sich offensichtlich nur auf politischem Wege rütteln lassen, also: wählen gehen! Nur, wenn mir diese wiederholte Bitte gestattet sein mag: nicht die NPD! Diese reklamiert das Thema der freien Rundfunkfinanzierung für sich und gibt der Politik damit die Möglichkeit, Rundfunkbeitragsgegner als extremistische Demokratiefeinde zu diffamieren. Es ist wichtig, zu zeigen, dass dies nicht so ist, und Abgeordnete anderer Parteien, die auf Stimmfang sind, mit dem Thema zu konfrontieren. Das kann man jederzeit auf abgeordnetenwatch.de tun, oder indem man medienpolitische SprecherInnen per email aus der Reserve zu locken versucht. Deren Adressen habe ich in einem früheren Post eingestellt.

Bei den vielen Aufrufen dieser Seite und anderer Foren, die sich kritisch mit dem Rundfunkbeitrag auseinandersetzen, bei der Fülle negativer Kommentare von frustrierten Journalisten der Printmedien frage ich mich auch, ob es nicht dringend geboten ist, sich besser zu organisieren. Die Gruppe, der ich angehöre, arbeitet inzwischen daran, sich besser mit Aktiven im Rest des Landes auszutauschen, aber wir sind definitiv zu wenige, und zu viele knicken ein. Es bräuchte wohl ein prominentes Zugpferd, eine Stimme, die dem Protest ein Gesicht verleiht. Vielleicht wäre Henryk M. Broder so eines: er hat sich am 15.05. darüber mokiert, dass er von Frank Plasberg im Vorfeld seiner Talkshow dazu aufgefordert wurde, nichts von einem kritischen Artikel über die Einnahmen von Martin Schulz zu sagen, den er in der 'Welt' veröffentlicht hatte. Es sei nicht fair gegenüber Schulz, über ihn zu reden, ohne dass ein SPD-Mitglied in der Talkrunde vertreten sei: Was da in einem bunkerartigen Raum des WDR passiert war, wurde mir erst nach der Sendung richtig bewusst. Aus Angst, Ärger mit einer politischen Partei zu riskieren, die offenbar der Ansicht ist, einen Abo-Platz in einer Talk-Runde zu haben, sollte ein Skandal beschwiegen werden. Dabei spielte die SPD-Zugehörigkeit von Schulz für die Beurteilung seines Verhaltens überhaupt keine Rolle. (http://www.welt.de/debatte/henryk-m-broder/article128042895/Als-ich-Plasberg-die-Angst-vor-der-SPD-ansah.html)

Michael Hanfeld schreibt in seinem Artikel 'Diese Rundfunkurteile sind ein Witz' in der FAZ vom 16.5.2014, dass sich die Zahl der privaten Teilnehmerkonten von 41,8 Millionen Ende 2012 auf 42,4 Millionen Ende 2013 erhöht hat. Würden diese 600000 Haushalte die Abgabe verweigern, wäre es für die Politik nicht so leicht, solche offenkundigen Beeinflussungen der öffentlich-rechtlichen Medien vorzunehmen, die mit Finanzierungssicherheit erkauft und mit kritikloser Berichterstattung bezahlt werden. Diese und die Mehreinnahmen im gewerblichen Bereich sind auch die Grundlage für die von der KEF vorgeschlagene Beitragssenkung. Dass die bei dieser Pauschalisierung erwirtschafteten Mehreinbnahmen auch wenigstens zum Teil dafür verwendet werden könnten, um die widerlegbare Regelvermutung einzuführen - also dem Einzelnen die Überprüfung seiner Aussage zu erlauben, dass er keinen Rundfunk nutzen kann - wird nicht einmal angedacht. Wie es im Kommentar der ARD zum KEF-Bericht heißt: Es ist alleine Sache der Rundfunkkommission der Länder und der Landtage, wie mit den geschätzten Mehreinnahmen durch die Reform der Rundfunkfinanzierung umzugehen ist.

Konkret kann man seinen Abscheu vor so viel Arroganz einzig und allein durch die Zahlungsverweigerung bis zum bitteren Ende demonstrieren. Wer sich bisher nie auf Schreiben des Beitragsservice gemeldet hat, könnte inzwischen eine Ankündigung der Zwangsvollstreckung erhalten haben. Wenn man diese von einem mit der Durchführung Beauftragten erhält, kann man Antrag auf Eilrechtsschutz stellen. Dabei empfiehlt es sich, selbst zum Verwaltungsgericht zu gehen, um nach dem besten Verfahren dazu zu fragen. Ob dies allerdings auch dann vor der Vollstreckung schützt, wenn man keine Klage eingereicht hat, vermag ich nicht zu sagen - ich habe gerade erst von einem 'erfolgreichen Fall' gehört. Die Zahlung wird man auf diesem Wege hinauszögern können, ohne dass die Verpflichtung dazu erlischt. Aber je mehr sich verweigern, desto überforderter werden die Verwaltungsgerichte mit der Abwicklung der Zwangsvollstreckungen sein. Nicht zuletzt deshalb wird den öffentlich-rechtlichen Anstalten ab 2015 gestattet, private Inkassoformen mit der Eintreibung zu beauftragen. Wer selbstständig und unabhängig ist, kann den Beitragsservice auch durch häufigen Verzug ärgern. Eine Idee wäre der Wohnungstausch: das wechselseitige Ummelden von Rundfunkbeitragsgegnern nach Art eines Kettenbriefs. Dies erfordert aber eine Menge gegenseitiges Vertrauen und gute Organisation. 

Man kann natürlich auch das Konsequenteste tun und die Bundesrepublik Deutschland verlassen: in Frankreich z.B. wird man trotz allgemeiner Medienabgabe nicht dafür kriminalisiert, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht nutzen zu wollen. Der Einzug erfolgt über die Finanzämter, und auf der ersten Seite des betreffenden Formulars kann man angeben, keinen Fernseher zu besitzen. In dem Fall wird die Abgabe nicht erhoben. Falls man jedoch eine Falschaussage getroffen hat, ist dies strafrechtlich belangbar und kann richtig teuer werden. Aber auch in allen anderen EU-Staaten gibt es (noch) keine Zwangsregelung. Im Grunde ist ein 'Brain Drain' die wohl wirksamste Bestrafung für eine Politik, die die Grundrechte des Einzelnen so evident missachtet. Einem Land ohne individuelle Meinungsfreiheit kann man im Grunde nur noch seine Arbeitskraft und seine Steuereinnahmen vorenthalten.

Trotz alledem ist der Klageweg nicht tot. Ich gestalte meine Klageschrift nun um und stütze mich stärker auf die negative Informationsfreiheit nach Art. 5 GG, nachdem informationelle Selbstbestimmung und der Vorbehalt, dass der Rundfunkbeitrag eine Zwecksteuer ist, hinausgekickt worden sind. Davon werde ich in einem späteren Post ausführlicher berichten.

Sonntag, 11. Mai 2014

Klagevorbereitung 2: Macht es euch nicht zu einfach!

Inzwischen habe ich die bereits erlassenen Urteile der Verwaltungsgerichte gesichtet, die im Widerspruchsbescheid zitiert werden, und mir einen Überblick über die Beispiele von Klageschriften gemacht, die im Netz zu finden sind. Zu letzteren muss ich klar sagen, dass sie in der Mehrheit unbrauchbar sind. Ohne jemandem auf die Füße treten zu wollen: angesichts der bisherigen Rechtsprechung ist es naiv, zu glauben, das Gericht würde schon einsehen, dass das eigene Anliegen begründet ist und die Rundfunkanstalten falsch liegen. Vielmehr folgen die Verwaltungsgerichte in erster Instanz durchgehend der Argumentation, die in Widerspruchsbescheiden genannt ist, mag sie einem noch so hanebüchen erscheinen.

Ich möchte niemandem den Wind aus den Segeln nehmen, aber man sollte sich schon vergegenwärtigen, dass eine Klage substantiell begründet sein muss. Das bedeutet, man muss genau benennen, welche formellen und materiellen Aspekte des Rundfunkbeitrags man als verfassungswidrig einstuft. Formell bedeutet, dass der Rundfunkbeitrag eine Steuer ist, weil der Anknüpfungspunkt für seine Erhebung die Wohnung ist, wodurch der individualisierbare bzw. wirtschaftliche Vorteil entfällt, den als Beitrag eingestufte Abgaben (bisher) haben müssen. Die Begründung dafür ist z.B. in den Gutachten von Koblenzer und Terschüren ausformuliert, vielleicht am besten in "Der neue "Rundfunkbeitrag" - Eine verfassungswidrige Reform" von Thomas Exner und Dennis Seifarth, erschienen in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2013 Heft 24, 1569 - 1575. Hierzu warte ich wie gesagt das Urteil des bayrischen Verfassungsgericht am 15. Mai ab. Materiell bedeutet, dass man diverse Grundrechte verletzt sieht. Davon wird in einem separaten Beitrag die Rede sein. Eine Klage wird nicht automatisch zur Verhandlung zugelassen, sondern darauf geprüft, ob sie zulässig ist. In der Regel wird die Klage trotz löchriger Argumentation wohl zugelassen, aber abschlägig beschieden werden, wenn andere Urteile in erster Instanz dies erlauben.

Dies ist leider bisher fast ausnahmslos der Fall, obwohl das wichtigste Argument, das in meinem Widerspruchsbescheid genannt ist, ziemlich unverschämt ist. Das darin zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG 9 B 41.08) dient zur Begründung dafür, dass eine Verletzung des Gleichheitssatzes nicht vorläge, wenn nicht mehr als 10% der Beitragspflichtigen durch diese Verallgemeinerung benachteiligt werden. Da aber 96,2% der Haushalte (sprich: Wohnungen) über mindestens ein Rundfunkgerät verfügten, sei die Miteinbeziehung der restlichen 3,8% zulässig. Dabei wird unterschlagen, dass der Zusammenhang des Urteilsspruchs ein völlig anderer ist, denn in dem betreffenden Verfahren ging es um die Verpflichtung zur Zahlung von Wassergebühren. Klagehintergrund war, dass ein Eigentümer nicht einsah, warum er auch dann den vollen Satz zu zahlen hatte, wenn ein Teil seiner Immobilie(n) leerstand. Das schlüssige Argument für diesen Beschluss war, dass die betreffende Leistung zu jeder Zeit zur Verfügung stand, also bei Neuvermietung - im Gegensatz zu Strom - keine gesonderte Anmeldung von nöten war. Es handelt sich also um genau den wirtschaftlichen bzw. individualisierbaren Vorteil, den man beim Rundfunkbeitrag vergeblich sucht - denn im Gegensatz zu allen anderen als Beitrag klassifizierten Abgaben ist Rundfunk kein materielles, sondern ein immaterielles Gut.

Trotzdem sind die Verwaltungsgerichte dieser Argumentation in erster Instanz bisher durchweg gefolgt. In verschiedenen Urteilen, die man online nachlesen kann (AN 14 K 13.00535 Ansbach 25. Juli 2013, VG 11 K 1090/13 Potsdam 30. Juli 2013, 2 K 605/13 Bremen 23.12.2013), wird sogar darauf verwiesen, dass die Zahlung des Rundfunkbeitrags nicht zur Nutzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verpflichten würde. Das bedeutet, dass die 'Rundfunkfreiheit', die sich aus Art. 5 GG herleitet, über die individuelle Meinungsfreiheit des Einzelnen gestellt wird, also über sein Recht, zu entscheiden, ob er Rundfunk nutzen will, was einer Entmündigung gleich kommt. Man muss sich also, wenn man Klage einreichen will, von vornherein darüber im klaren sein, dass man den Rechtsweg über mehrere Instanzen verfolgen muss. Auch der Kostenfaktor will bedacht sein: in den zitierten Urteilen wurde nicht, wie von mir ursprünglich angenommen, der einfache Jahressatz als Streitwert bestimmt, sondern der dreifache. Das bedeutet, dass die Verfahrenskosten in erster Instanz höher sind - ich komme auf €420 (ohne eigene Anwaltsgebühr), mir wurde aber gesagt, dass dies zu hoch sei, weil die betreffenden Klagen Feststellungsklagen gewesen seien, und die kommen teurer. In der 2. und 3. Instanz besteht Anwaltspflicht, wohingegen daran anschließende Verfassungsbeschwerden bei Ausschöpfung des Rechtswegs (!) kostenfrei sind. Ein befreundeter Jurist schätzt die bis dahin zu leistenden Kosten auf ca. €1200, allerdings über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren. Man sollte auch bedenken, dass ein Verfahren nicht von der Zahlungspflicht entbindet, auch wenn deren Vollstreckung bisher für den Zeitraum, in dem das Verfahren läuft, in der Regel ausgesetzt worden ist. Entmutigen lassen sollte man sich dadurch nicht, denn wie bereits erwähnt lässt einem die Gesetzeslage nur die Wahl zwischen zwei Übeln: dem Rechtsweg oder der lebenslangen Zahlung für ein überteuertes Angebot von Rundfunksendungen, deren Nutzer im Durchschnitt 60 Jahre alt sind.

Ich bin zur Hälfte mit meiner Klageschrift fertig, werde diese hier aber nicht einstellen, weil dies unerlaubte Rechtsberatung wäre. Diese ist aus gutem Grund untersagt, denn wenn man nicht selbst Anwalt ist, kann man über einen Rechtsbestand nur seine laienhafte Meinung wiedergeben. Davon nehme ich mich selbst nicht aus! Ein befreundeter Jurist hat sehr schön formuliert, warum solche Meinungsäußerungen mit Vorsicht zu genießen sind: Jura ist Mathematik mit Worten. Man muss genau auf seine Formulierungen achten und einzeln überprüfen, ob sie sachgerecht sind. Dabei kann ein Schema helfen, das Jurastudenten zur Überprüfung von Tatbeständen benutzen. Ich stelle im folgenden eines ein, sie lassen sich aber in jedem Lehrbuch finden und sind eher im Kontext verständlich. Wie in diesem Blog schon mehrfach erwähnt: wer sich die Abfassung einer Klageschrift nicht zutraut, sollte einen Anwalt konsultieren. Wer soziale Leistungen bezieht, aber nicht vom Beitragsservice befreit wird, hat hierbei Anrecht auf Prozesskostenbeihilfe. 

Es ist nicht Sinn dieses Blogs, unerlaubte Rechtshilfen zu geben, sondern lediglich, allgemeine Informationen besser zu verbreiten. Ich lehne daher explizit Aufforderungen ab, exemplarische Klageschriften abzufassen. Wer sich nicht selbst diese Mühe machen will, sollte es meiner persönlichen Meinung nach lieber gleich sein lassen, weil es in dem Fall nämlich an der Motivation dazu fehlt, den Rechtsweg konsequent über Jahre zu verfolgen. Wer beim Lesen der oben genannten Urteile nicht ein 'Jetzt-erst-Recht'-Gefühl verspürt, wird resignieren und umsonst Geld aus dem Fenster geworfen haben, wenn er sich auf einen Rechtsstreit einlässt.


Schema 1 : Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes. Beachte: Die Rechtswidrigkeit eines VA begründet allein noch nicht die Anfechtungsklage. Hinzukommen muß die Verletzung von subjektiven Rechten des Klägers (vgl. § 113 I 1 VwGO)

A. Formelle Rechtmäßigkeit
• beachte: u.U. Heilung oder Unbeachtlichkeit von Verfahrens- und Formfehlern nach §§ 45 oder 46 VwVfG!
I. Zuständigkeit der Behörde
1) Sachliche Zuständigkeit
2) Örtliche Zuständigkeit
• nach Spezialgesetz oder § 3 VwVfG
3) Instanzielle Zuständigkeit
• richtige Behörde innerhalb des Behördenzweiges (vgl. z.B. § 128 NGO)
4) Ggf. funktionelle Zuständigkeit
• Zuständigkeit des handelnden Amtsträgers innerhalb der zuständigen Behörde
• nur relevant, wenn durch Rechtsvorschriften festgelegt (→ selten), z.B. polizeirechtliche Qualifikations- oder Behördenleitervorbehalte wie nach §§ 69 VIII, 34 III 2 NGefAG
 
II. Verfahren - Der Begriff des Verwaltungsverfahrens wird in § 9 VwVfG definiert.
1) Beachtung der allgemeinen Verfahrensanforderungen nach § 9 ff. VwVfG
• insbes. Anhörung, § 28 VwVfG
• insbes. Gestattung der Akteneinsicht, § 29 VwVfG
• insbes. keine Mitwirkung ausgeschlossener Personen (§ 20 VwVfG) oder Befangener (vgl. § 21 VwVfG)
• insbes. Beteiligung Drittbetroffener, § 13 II 2 VwVfG
• insbes. Zulassung von Bevollmächtigten und Beiständen, § 14 VwVfG
2) Beachtung von besonderen Verfahrensanforderungen nach spezialgesetzlichen Vorschriften
• insbes. öff. Bekanntmachungen, Mitwirkung anderer Behörden, öff. Ausschreibungen, UVP
• insbes. Zustimmung des Adressaten bei zustimmungsbedürftigem VA
3) Ggf. Wahl einer besonderen Verfahrensart und Beachtung der damit verbundenen Verfahrensanforderungen nach §§ 63 ff., 71a ff., 72 ff. VwVfG und spezialgesetzlichen Vorschriften
 
III. Form - Keine Rechtmäßigkeits- sondern Wirksamkeitsvoraussetzung: Bekanntgabe des VA nach § 43 VwVfG.
1) Form i.e.S.
a) Grundsätzlich Formfreiheit, § 37 II 1 VwVfG
b) Ggf. Wahrung der gesetzlich angeordneten Schriftform
• vgl. z.B. §§ 69 II VwVfG, 66 AuslG, 31 I AsylVfG, 3 IV VereinsG, 3 I GaststättenG, 10 VI BImSchG
• Formanforderungen: Erkennenlassen der erlassenden Behörde, Unterschrift bzw. Namenswiedergabe,
§ 37 III VwVfG
c) Ggf. Wahrung gesetzlich angeordneter strengerer Formerfordernisse
• z.B. persönliche Aushändigung einer Urkunde nach §§ 5 II BRRG, 16 I, 23 I StAG
2) Begründung, § 39 VwVfG
• Mitteilung der wesentlichen tatsächl. und rechtl. Entscheidungsgründe, § 39 I 2 VwVfG
• Mitteilung der ermessensleitenden Gesichtspunkte bei Ermessensentscheidungen, § 39 I 3 VwVfG
3) Rechtsbehelfsbelehrung, §§ 58, 59 VwGO
• beachte: bei Fehlen/Unrichtigkeit nur Ablaufhemmung der Rechtsbehelfsfrist, § 58 I VwGO
 
B. Materielle Rechtmäßigkeit
I. Ermächtigungsgrundlage
1) Erforderlichkeit einer Ermächtigungsgrundlage
2) Vorhandensein einer Ermächtigungsgrundlage
a) In Betracht kommende Vorschrift
• hier Abgrenzung zwischen verschiedenen in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlagen, wenn
nicht schon in Einleitungssatz oder Vorüberlegung zur Rechtmäßigkeitsprüfung
b) Qualifizierung der Vorschrift als Ermächtigungsgrundlage zum Erlaß eines solchen VA
3) Wirksamkeit der Ermächtigungsgrundlage (Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht)
a) Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union
• sonst Unanwendbarkeit der Ermächtigungsgrundlage nach dem Grundsatz des Vorranges des Unionsrechts;
u.U. Richtervorlage an EuGH gem. Art. 234 EGV, 150 EAGV
b) Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz
• insbes. mit den Grundrechten (→ Verhältnismäßigkeit der Ermächtigung)
• u.U. Richtervorlage an BVerfG gem. Art. 100 I 1, 2. Alt. GG, §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG
c) Ggf. Vereinbarkeit der landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage mit dem Bundesrecht
• u.U. Richtervorlage an BVerfG gem. Art. 100 I 2, 2. Alt. GG, §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG
d) Ggf. Vereinbarkeit der landesrechtlichen Ermächtigungsgrundlage mit der Landesverfassung
• u.U. Richtervorlage an NdsStGH gem. Art. 100 I 1, 1. Alt. GG, 54 Nr. 4 NdsVerf, §§ 8 Nr. 9, 35 NdsStGHG
e) Ggf. Vereinbarkeit der Rechtsverordnung oder Satzung mit den einschlägigen Gesetzen
4) Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage6
 
II. Auswahl des richtigen Adressaten
• relevant insbes. im Allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht und im Umweltrecht, vgl. z.B. §§ 6 - 8 NGefAG, § 10 I i.V.m. §§ 4, 7 BBodSchG
 
III. Allgemeine Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen
1) Bestimmtheit, § 37 I VwVfG
• insbes. vollstreckungstaugl. Bestimmung der ver-/gebotenen Handlung bzw. des herbeizuführenden Erfolges
• insbes. keine innere Widersprüchlichkeit
2) Möglichkeit der Ausführung
a) keine tatsächliche Unmöglichkeit (→ sonst immer nichtig, § 44 II Nr. 4 VwVfG)
b) keine rechtliche Unmöglichkeit (→ sonst u.U. nichtig, § 44 II Nr. 5 VwVfG)
• wenn durch Duldungsverfügung an Dritte behebbar, nur mangelnde Vollstreckbarkeit des VA (HM)
3) Verhältnismäßigkeit
a) Zulässiger Zweck
b) Geeignetheit
c) Erforderlichkeit
d) Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit i.e.S.)
4) Kein Verstoß gegen (sonstige) Rechtsvorschriften
• beachte insbes. Vorschriften aus dem Umfeld der Ermächtigungsgrundlage

IV. Bei Ermessensentscheidungen: keine Ermessensfehler
1) Ermessensnichtgebrauch
2) Ermessensüberschreitung
3) Ermessensfehlgebrauch
a) Fehlerhafte Tatsachenermittlung
b) Sachfremde Erwägungen
c) Strukturelle Begründungsmängel
• logische Fehler, Widersprüche, Außerachtlassen wesentl. Gesichtspunkte
d) Unverhältnismäßigkeit
e) Verstoß gegen Art. 3 I GG (→ ggf. auch Art. 14 EMRK)
• insbes. Mißachtung der Selbstbindung der Verwaltung durch VV oder Verwaltungspraxis
f) Anderer Verstoß gegen Grundrechte oder Verfassungsgrundsätze
• auch aus Landesverfassungen, EMRK und EU-Recht (bei Ausführung von EU-Recht)
• insbes. Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten (→ Ermessensreduktion)